Dienstag, 23. August 2011

Zur Kritik an der Zinskritik

Die Folgen der Finanzkrisen haben dazu geführt, dass Kritik an unserem Geldsystem immer populärer wird, meint Jens Berger. Zu Recht, wie ich meine, sie war längst überfällig.


Laut Berger ist die Kritik am Zinssystem häufig durchmischt mit religiösen, völkischen, ja anitisemitischen Grundton. Eine Behauptung ohne empirischen Beweis. Und ich möchte nicht wissen, wieviele Leute, die durch die Zwangsarbeit im ehemaligen 3. Reich erst zu Vermögen gekommen sind, sich unter den heutigen Aktionären von Banken und Industrieunternehmen befinden, die von der Finanzkrise enorm profitieren und gar nicht daran denken, dass Zinssystem zu kritisieren...


Ich halte den Beitrag Bergers, der in den Nachdenkseiten erschien, für sehr oberflächlich und an seiner Argumentation kann man ablesen, dass er sich mit den Argumenten der Kritiker gar nicht wirklich auseinandergesetzt hat.

Ich habe es getan, und da Bergers Argumentation meines Erachtens viele Schwächen aufweist, habe ich den Artikel unkt für Punkt aus meiner Sicht abgearbeitet.


Zins aus der Sicht des Kreditnehmers:


Herr Berger verspricht uns zu erklären, was ein Zins denn eigentlich ist. Wer den Zins erklären will, sollte vielleicht auch einmal erklären, was ein Kredit überhaupt ist. Und dann wäre es meiner Meinung nach vielleicht nicht schlecht, den Zinsertrag in Relation zum gewährten Kredit zu setzen.


Was also ist ein Kredit? Ein Kredit ist ein Geldbetrag, der neu geschöpft wird, mit den Einlagen der Bankaktionäre und Sparern als Mindestreserve. Das Geld das verliehen wird, existiert erst einmal gar nicht. Es wird neu geschaffen und damit es nicht inflationär ist (sich also die Geldmenge in Bezug zu Produkten und Dienstleistungen erhöht) müssen in der Realwirtschafter neue Werte geschaffen werden. Der Handwerker baut das Haus, der Schreiner stellt die Möbel her usw. Im Grunde ist gegen einen Kredit zunächst einmal nichts einzuwenden. Denn einer wachsenden Menge an Gütern und Dienstleistungen muss logischerweise zwingend auch eine wachsende Geldmenge zur Verfügung stehen. Würden Privatleute und Unternehmen versuchen, sämtliche Neuanschaffungen durch Sparen zu tätigen, würde das den Wirtschaftskreislauf höchstwahrscheinlich zum Erliegen bringen – denn das Geld würde im Kreislauf fehlen.


Die Abzahlung für die Hypothek beispielsweise auf ein Haus erstreckt sich, wie Jens Berger richtigerweise feststellt, etwa über einen Zeitraum von ca 28 Jahren. Für die Möglichkeit sein Eigenheim vor Abzahlung des Kredites zu nutzen, muss man eben eine Prämie zahlen, meint er. So weit, so gut – das Problem ist nur: erstens wurde der Kredit ja nicht aus vorhandenen Spareinlagen vergeben - sondern virtuell geschaffen. Es ist also nicht so, dass der Kreditgeber Geld verleiht, und auf deren Rückzahlung 'wartet'. Die Mindestreserven bei einer Bank betragen meines Wissens um die 4% - 7%. Mit anderen Worten, mittels einer bestimmten Geldmenge kann man nicht nur einen, sondern viele Kredite vergeben. Richtig, auf dieses Geld verzichtet der Kreditgeber erst einmal, aber nach dem Ablauf einer gewissen Zeit bekommt er nicht nur die Zinsen von einem, sondern von mehreren Krediten zurück. Das Risiko für den Ausfall eines Schuldners hält sich also wirklich in Grenzen. Außerdem zahlt ein Schuldner beispielsweise für den Bau eines Hauses mehr als das Doppelte des Betrages, den er als Kredit genommen hat. Ist das nicht ein bisschen viel für eine 'Prämie'? Zudem steht beispielsweise ein Kreditnehmer für ein Haus selbst bei einer Insolvenz nicht mit leeren Händen da – das Haus als Sachwert, dass von den in der Realwirtschaft tätigen Arbeitnehmern geschaffen wurden, fällt im Fall einer Insolvenz an die Bank.


Die Kreditgeber, das unterschlägt uns Jens Berger, muss man außerdem in zwei Gruppen unterteilen: Kleine Sparer und Besitzer von großen Vermögen. Der Besitzer von einem großen Vermögen hat einer Bank gegenüber natürlich eine viel bessere Verhandlungsposition als ein kleiner Sparer, da er die Mindestreserven einer Bank beträchtlich erhöhen und damit die Möglichkeit einer Kreditvergabe um ein Vielfaches steigern kann – mit den entsprechenden Gewinnen. Daher wird er naturgemäß eine höhere Rendite aushandeln können als der kleine Sparer. Er will sein Geld nicht nur vor der Inflation retten, sondern auch einen Gewinn damit machen – entsprechend fällt die Rendite aus. Der Zinsertrag des kleinen Sparers dagegen liegt weit unterhalb der Inflationsrate. Derzeit liegt er bei 0.5 Prozent. Lachhaft. Letztendlich bezahlt u.a. der kleine Sparer also für die Renditen der Riesenvermögenden. Diese wiederum sind es, die mit ihrem Zinshunger für eine immer weitergehende Geldvermehrung sorgen und so die Inflation überhaupt erst verursachen. Das Argument, dass man Zins zahlen muss, um den Inflationsausfall des Kreditgebers auszugleichen, sticht also nicht.



Der Josephspfennig

Das exponentielle Wachstum, dargestellt an einem bei der Geburt von Jesus gegen Zins und Zinseszins angelegten Josephspfennig, ist ökonomisch gesehen Unfug, meint Berger und zwar weil: und jetzt kommts: weil es beim Josephspfennig kein Risiko, keine wirtschaftlichen Krisen und keine Geldreformen gibt. Ja eben - beides wird ja erst durch den Zinseszins verursacht. Der Zinsgewinn des Josephspfennigs kommt nie zustande, weil die Werte, die er erforden würde, real nicht existieren – das ist ja der Grund für die Wirtschaftszusammenbrüche, Währungsreformen etc. Sie müssen im Zinssystem zwingend eintreten.



Vermehrung der Geldmenge

Die für die Bedienung der Zinsen notwendige Geldmenge muss nicht neu geschaffen werden, sondern kursiert bereits im Kreislauf, meint Berger. Erklärungsbedürftig, finde ich. Woher kommt denn das Geld? Aus dem Nichts, aus dem Äther? Natürlich kursiert immer eine gewisse Geldmenge, die dann auch für die Bedienung der Zinsen verwendet werden kann. Das funktioniert aber nur so lange, wie nicht alle Schuldner auf einmal ihre Kredite PLUS Zinsen wiederhaben wollen.

Ein Teil der Gewinne fließt in Löhne und Gehälter, heißt es weiter. Ja, schon, aber was ist mit dem 'Rest'?

  1. Ein Teil fließt auf die Sparbücher der Sparer ???? -0,5% derzeit, nicht mal annähernd ein Ausgleich für die Inflation!! -

  2. ein weiterer Teil fließt als Steuern an den Staat – ja schon, aber viel zu wenig! Der Staat muss doch viel mehr Schulden machen, als er an Einnahmen aus den Steuern einnimmt – gerade die Steuereinnahmen aus sogenanntem 'arbeitsfreien Einkommen' sind besonders niedrig und sinken immer weiter...

  3. die Gewinne werden entweder als Dividende ausgeschüttet – das wäre ok, wenn diese Dividenden der Realwirtschaft wieder zugeführt, sprich ausgegeben werden würden. Ob das immer der Fall ist, ist fraglich.

    wahrscheinlich zum Teil und reinvestiert – schön wärs!

    Das Geld wird verwendet um zu Spekulieren! Es werden hier keine Werte geschaffen, sondern einfach nur Wetten abgeschlossen, denen überhaupt keine realen Werte zugrunde liegen!



Wachstumszwang

Laut Berger ist es ein populärer Irrtum der Zinskritiker, das hohe Zinsen zu einem Wachstumszwang führen würden und der Denkfehler ließe sich bereits mit einem oberflächlichen Blick auf die Zinspolitik der Notenbanken ausräumen. Dieser Blick ist meiner Meinung nach doch etwas zu oberflächlich. Jens Berger verwechselt hier ein grundlegendes Problem des Zinsssystems mit fiskalischen Instrumenten innerhalb unseres bestehenden Systems.


Unser jetziges System sieht folgendermaßen aus: Private Kreditgeber schöpfen neues Geld, für das sie Zinsen verlangen. Zur Bedienung der Zinsen müssen immer neue Kredite aufgenommen werden, und die Zinslast ist je nach Laufzeit ein Vielfaches des ursprünglich ausgeliehenen Betrages. Für einen Kredit von 1000 Euro werden beispielsweise bei 7% Zinsen nach 10 Jahren Laufzeit 2000 Euro fällig. Das heißt: Der Betrag der Schuld wird aus den Büchern getilgt, der Kreditgeber bekommt 1000 Euro Zinsen. Damit wäre dann der abgeflossene Betrag wenigstens wieder ersetzt, wenn er der Wirtschaft wieder zur Verfügung gestellt werden würde. Häufig ist die Zinslast aber höher als die Grundschuld. Und dann fehlt eben das Geld, dass durch einen Kredit eines anderen Wirtschaftsteilnehmers ersetzt werden muss, es muss mehr Geld geschaffen werden, damit der Wirtschaftskreislauf mit Geld versorgt ist. Und diesem zusätzlichen Geld muss eine entsprechend zusätzliche Menge an Gütern und Dienstleistungen zu Verfügung stehen, damit es nicht inflationär ist. Darum brauchen wir das Wirtschaftswachstum.


Wenn Berger anführt, dass nicht ein hoher, sondern ein niedriger Zins die Wirtschaft ankurbelt, sprich er von der Auswirkung der Festsetzung des Leitzinses. Die Auswirkung eines niedrigen Zinses ist in manchen Fällen, dass mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf fließt. Es geht also letztendlich darum, der Realwirtschaft das nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Dazu braucht man aber nicht notwendigerweise ein Geldsystem, das darauf beruht, dass private Geldgeber dieses Geld gegen Zins und Zinseszins in Umlauf bringen.


Davon abgesehen ist ein niedriger Zins innerhalb unseres Systems auch nicht immer von Vorteil für die Geldversorgung Wirtschaft eines Landes. Es kann auch passieren, dass Investoren ihre Gelder abziehen und in ein anderes Land schaffen, wo sie mehr Renditen für ihr Geld bekommen. Somit würden auch die Mindestreserven fehlen, die die Grundlage für die Kreditvergabe sind und so kann eine solche Politik innerhalb unseres jetzigen Systems auch zu einer riesigen Kreditklemme führen, aber das nur am Rande....


Berger verwechselt hier den vermeintlichen Segen des Zinssystems mit dem Grundproblem: Die Versorgung der Wirtschaft mit dem notwendigen Geld. Um die Wirtschaft mit Geld zu versorgen brauchen wir aber nicht notwendigerweise ein Geldsystem, dass auf der Kreditvergabe von seiten privater Banken beruht. Wenn er anführt, dass sich der Zusammenhang von Zins und Vermögenskonzentration empirisch wiederlegen lässt, wenn man sich die Periode von 1945 bis 1980 anschaut, argumentiert er meiner Meinung nach völlig aus dem Zusammenhang gerissen – es ist ganz offensichtlich, dass er sich mit den Argumenten der Zinskritiker gar nicht wirklich auseinandergesetzt hat.


1945 gab es eine Währungsreform. Es wurde eine neue Währung eingeführt, um die massive Abwertung der bestehenden Währung zu bemänteln. Die Ursache für diese Abwertung wiederum war vielfältig: Sie hatte mit den aus dem 1. Weltkrieg resultierenden Schulden Deutschlands, mit dem Aufbau der IG Farben als Vorbereitung auf den 2. Weltkrieg (die übrigens durch Geldgeber der Wall Street gefördert wurde) und mit dem nachfolgenden Weltkrieg zu tun. 1945 war auch währungstechnisch die Stunde Null.


Mit neuen Krediten ( ebenfalls aus der Wallstreet) und hoher Nachfrage (im Krieg war ja viel zerstört worden und es musste wieder aufgebaut werden) begann ein neuer Wirtschaftszyklus. Wenn Berger sich wirklich mit dem Grundproblem des Zinseszins beschäftigt hätte, wüsste er auch, dass die Zinsbelastung am Anfang eines Währungszyklus gering ist und erst nach einigen Jahrzehnten zur drückenden Belastung wird. Ob die Einkommensschere in den westlichen Industrieländern wirklich geschlossen wurde, wage ich mal zu bezweifeln. Die Superreichen hängen den Rest der Bevölkerung in jeder Phase des Wirtschaftszyklus ab. Immerhin gab es eine wachsende Mittelschicht, dass lässt sich nicht leugnen.


Erst die neoliberale Politik von Reagan und Thatcher setzte dieser Entwicklung, die er 'große Kompression' nennt ein Ende. Ja, und wie kam das? Könnte es nicht vielleicht damit zu tun haben, dass diejenigen superreichen Bank- und Industrieaktionäre mit Hilfe des Zinseszinssystem einen Grad an Reichtum ihr Eigen nennen, vor dem jede Regierung die Waffen strecken muss? Wer zahlt schafft an, heißt es...Diejenigen, die mit Hilfe von Zins und Rendite zu Reichtum, Ämter und Würden gelangt sind, bestimmen zunehmend Politik und Gesetzgebung – zu ihren Gunsten, versteht sich. Bildung, Medien, Sozialsysteme und andere Aufgaben werden zunehmend an Private Firmen abgegeben, der Arbeitnehmer muss sich mit immer weniger Lohn zufrieden geben, worunter die Realwirtschaft noch mehr leidet, mit den bekannten Folgen, die in den Nachdenkseiten, unter anderem von Jens Berger, auch zu Recht kritisiert werden.


Dass es aber überhaupt soweit kommen konnte wie heute, und auch immer weiter geht, ist meines Erachtens auf unser bestehendes Geldsystem zurückzuführen, denn diejenigen, die mit seiner Hilfe zu ihrem immensen Reichtum gekommen sind, sind es, die real über unsere Politik bestimmen. Da nützt es wenig, über korrupte Politiker, gekaufte Medien und so weiter zu schwadronieren. Jemand, der nicht korrupt ist, hat in diesem System doch sowieso gar keine Chance. Wir brauchen dringen ein anderes Geldsystem. Und egal, ob bei dem zukünftigen System der Zins und der Zinseszins eine Rolle spielen sollen oder nicht: Das Problem muss erkannt werden, und sollte man sich dafür entscheiden, das Geldsystem als solches beizubehalten, müssten zumindest entsprechende Sicherungen eingebaut werden, die eine Geld- und Machtkonzentration, wie wir sie heute haben, verhindern.


Buchtipp: Bernd Senf: Der Nebel um das Geld


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2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich bin inzwischen zu den gleichen Schlüssen gekommen. Ich habe inzwischen Quellen gefunden, wie es zu dieser Form des Geldsystems kam und welche Köpfe dahintersteckten: http://faszinationmensch.wordpress.com/2011/09/11/unser-system-der-geldschopfung-ist-zutiefst-undemokratisch/

Anonym hat gesagt…

Zum Josephspfennig:

´´"Zinssysteme funktionieren, wenn Krieg, Inflation, Seuchen, Währungsreform, Katastrophen genug häufig auftreten. Sie wirken positiv auf das Zinssystem", man sollte vielleicht sagen, stablisieren.``

Wen wundert, dass diese Erkenntnis nicht Wikipedia würdig ist. Die Erklärung dafür findet man im Buch "The Lost Science of Money: The Mythology of Money, The Story of Power" übver das verlorene Wissen über Geld, bei der Übersetzug auf Deutsch wurde "Verloren" verloren: "Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht.".