Montag, 9. Februar 2009

Demonstration am 07.02.09 gegen 60 Jahre NATO und 45 Münchener Sicherheitskonferenzen

07.02.09 – kurz nach 13.00 komme ich auf dem Marienplatz an. Die Kundgebung hat schon begonnen. Heute ist der Platz besser gefüllt als bei der Kundgebung am Tag zuvor. Die Polizei hat den Platz mit Barrieren gegen die umliegenden Einkaufsstraßen abgeriegelt.

Die Organisatoren kündigen die Redebeiträge an, und geben die Telefonnummer eines „Ermittlungsausschusses“ durch, den man im Falle einer Verhaftung anrufen soll. Es wird geraten, außer den Angaben zur Person keine Aussage zu machen, und sich sofort telefonisch an den EA zu wenden.
Man habe während der Demonstrationen der letzten Jahre schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, heißt es. Zivilbeamte seien eingeschleust, Demonstranten eingekesselt und willkürlich verhaftet worden. Man rechnete mit Aggressionen von Seiten der Polizei - in diesem Fall würde man die Demonstration sofort auflösen - die Abschluss-Kundgebung am Odeonsplatz werde aber auf jeden Fall stattfinden.
Das Polizeiaufgebot ist tatsächlich beachtlich und vom Balkon des Neuen Münchener Rathauses aus filmt ein uniformierter Polizist mit riesiger Kamera die Ansammlung der Demonstrierenden.

Nun beginnen die Redebeiträge und man kann Erstaunliches erfahren – von der immer weiter zunehmenden Militarisierung in unserer Gesellschaft - schon mit Kindern werden in der Schule „Strategiespiele“ gespielt -, von bleibenden Büros des Bundeswehr in den Arbeitsämtern, in denen man jungen Arbeitslosen den „todsicheren“ Soldatenjob schmackhaft machen will, von der anscheinend freundlichen Billigung Deutschlands und der EU der israelischen Aggressionen gegenüber den Palästinensern , von der Weiterentwicklung der Kriegstechnologie - wie zum Beispiel die zunehmende Treffsicherheit der Kriegsgeräte, mit denen Zivilisten zielsicher attackiert werden können und der Verwendung von weißem Phosphor – für die der Gazastreifen offensichtlich als Testgebiet dient.

Eine Gruppe von in schwarze Anzüge gekleideten Demonstranten, mit weiß geschminkten Gesichtern, die an Totenköpfe erinnern, schlagen während der Vorträge immer wieder mit grimmiger Miene mahnend auf ihre riesigen Trommeln.

Kurz bevor sich der Demonstrationszug gegen 15.30 in Bewegung setzt, gelingt es mir endlich, die Notfalltelefonnummer des Ermittlungsausschusses mit klammen Fingern und einem vor Kälte beinahe streikenden Kugelschreiber auf einen Schmierzettel zu kritzeln.

Vom Marienplatz aus gehen wir los, und ziehen am Viktualienmarkt vorbei. Aus einem Lautsprecherwagen hinter mir im Zug wird unter anderem ein Gedicht des Chanconiers Franz Joseph Degenhardt über das Bombardement der Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan verlesen. Der Sprecher ist sicherlich ausgebildeter Schauspieler, schon allein wenn er das Wort „Krieg“ ausspricht, rieselt es mir kalt den Rücken herunter. Wie kann man eine Silbe im Diesseits beginnen und sie dann so enden lassen, als rufe ein Geist aus dem Jenseits zurück? Ich stelle mir eine Hochzeitsgesellschaft vor, am Morgen nachdem sie bombardiert wurde - die ersten, noch kalten Strahlen einer unbestechlichen Morgensonne, die Verletzte und Tote in festlicher Kleidung zeigt, entweder tot oder weinend, eine von Schluchzen und Jammern durchbrochene Stille, eventuell verstört umher laufende, weinende Kinder, die noch nicht recht begriffen haben, dass sie ihre Eltern für immer verloren haben...

Neben uns marschiert die Polizei, die einen in hell grün, die anderen in dunkelgrün, manche in Dunkelblau. Eine Polizistin trägt auf ihrem Rücken etwas, das ich für eine Gasflasche halte - rechnet man denn so fest damit, Tränengas gegen uns einsetzen zu müssen?

Rechts vor mir laufen drei Frauen im Rentenalter, die die Metallgestelle von Reiserucksäcken mit Tafeln versehen haben, auf denen steht:

Nichts
Als
Töten
Organisieren

Neben mir geht ein junger Mann, der einen Kinderwagen schiebt, zwei Teenager haben sich untergehakt, wie junge Mädchen das häufig tun.

Ein Demonstrant hat sich als Soldat mit Maschinengewehr und Gasmaske inmitten einer Geburtstagstorte, die an Schnüren von einigen seiner Mitstreiter gehalten wird, verkleidet.

60 Jahre Nato sind zuviel- es reicht!


Vor mir hat nun eine Gruppe angefangen, südamerikanische Rhythmen zu trommeln, und eine Formation von Frauen in bunten Kleidern tanzt dazu. Sie drehen sich wie Derwische im Kreis hin und her und werfen dazwischen bunte Regenschirme in die Luft, die sie mit Antikriegsaufschriften versehen haben.

Nie wieder Krieg!

Die Wolkendecke reißt auf, und die Sonne scheint, doch fühle mich noch elender als zuvor. Wie leid ich das alles bin, von Toten und Verletzten zu hören, von für ihr restliches Leben entstellten Kindern. Die tanzenden Frauen erinnern mich an das Leben, um das wir alle betrogen werden, an diejenigen, die Leben und Gesundheit im Krieg verlieren, ebenso wie wir, die wir um unseren Seelenfrieden gebracht werden, bei den Gedanken daran, wie unsere Mitmenschen auf diesem Planeten woanders leiden müssen.

Wie es mir zum Hals heraus hängt, was ich von meinen Mitmenschen so häufig, viel zu häufig, zu hören bekomme: - „Was willst du da machen, da kann man doch ohnehin nichts machen...“ - als sei die Gegenwart schon die Vergangenheit, mit der wir unsere Zukunft begraben.

Am Gärtnerplatz werden wir von einer Hundertschaft blau uniformierter Polizisten erwartet. Sie beobachten uns aufmerksam. Wir marschieren weiter bis wir am Sendlinger Tor ankommen, und unseren Marsch durch die Sonnenstraße antreten, die Hauptverkehrsader Münchens um die Altstadt herum.

Hier scheint es irgendeinen Ärger zu geben, anscheinend mit der Polizei, um was es sich genau handelt, habe ich aber nicht mitbekommen. Meine Aufmerksam ist abgelenkt – ich muss nämlich dringend auf die Toilette. Was wenn wir ausgerechnet jetzt von der Polizei eingekesselt werden – ein Alptraum... Ich verlasse den Zug durch die an den Seiten des Zuges aufgesperrten Absperrungen und durch das Sendlinger Tor Richtung Sendlinger Straße.. Schon vor dem Sendlinger Tor standen blau uniformierte Polizisten dutzendweise aber auch hinter dem Tor stehen links und rechts noch jeweils 10 uniformierte Polizisten.

Als ich zurückkomme, weiß ich erst nicht recht, wie ich wieder durch die Absperrungen zum Demonstrationszug gelangen soll. In den Lücken zwischen den Absperrungen stehen grün uniformierte Polizisten. Ja, man muss sich schon entscheiden, ob man nun dazu gehören will oder nicht...Ich tippe einen Polizisten, der mir gerade den Rücken zuwendet und die Demonstranten beobachtet, an – ich muss sozusagen um Einlass bitten. „Entschuldigung, darf ich mal durch?“ frage ich. „Ja, klar.“ meint er lässig.
Der Zug setzt sich weiter in Bewegung. Der Sprecher aus dem Wagen vor mir, fordert Zivilbeamte der Polizei auf, sofort die Demonstrationszug zu verlassen. Der Zug kommt eine Zeit lang zum Stehen, anscheinend, weil sich ein Polizei-Spalier dem Zug in den Weg stellt hat. Als es wieder weitergeht, begibt sich der „Busch-Bayer“ ans Mikrophon und versucht die angespannte Lage etwas zu entschärfen indem er einen einen Reggae anstimmt: „...weht sie weg, die negative Energie...“

Kurz bevor wir den Lenbachplatz erreichen, ertönt wieder eine Durchsage bezüglich der Aktivitäten unserer Ordnungshüter: „Der Lenbachplatz ist mit einem riesigen Polizeiaufgebot flankiert. Die Polizisten behelmen sich gerade!“ Am liebsten wäre ich jetzt am Mikrophon und würde den Polizisten zurufen: „Jetzt macht doch mal halblang! Nicht wir sind es, von denen die Bedrohung ausgeht. Die Kriegstreiber dinieren gerade im Bayerischen Hof, und unsere Volksvertreter brechen nicht nur Gesetze, sondern sogar unsere Verfassung! Sie stellen für den Schutz dieser Privatveranstaltung von Rüstungsfirmen die Bundeswehr, die laut Grundgesetz im Inland nur für den Katastrophenfall eingesetzt werden darf, bereit!“ Doch ob das etwas nützen würde? Die Beamten erhalten ihre Anweisungen von oben, die von oben bekommen sie von noch weiter oben und so weiter...

Trotz der angespannten Lage marschiert die Menge ruhig weiter. Gott sei Dank kommt es nicht zu Zwischenfällen. Kleinere Gruppen skandieren immer wieder. „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“ skandiere ich mit, so laut ich kann.

Als wir am Odeonsplatz ankommen, ist es mittlerweile bei etwa Viertel vor Sechs. Mir ist schon schwindlig, trotz Keksen und Getränken, die ich dabei hatte, fühle ich mich recht schwach.
Es gibt schon wieder Ärger. Ein Polizeispalier hat den für die Demonstration angemeldeten Platz besetzt. Die Sprecherin am Mikrophon des Lautsprecherwagens bittet die Demnonstrationsleitung, sich zu melden, und mit der Polizeiführung zu verhandeln.

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Die Sprecherin macht uns darauf aufmerksam, dass vom Dach der Residenz aus Scharfschützen auf uns zielen. Ich schaue nach oben: Tatsächlich: Da oben sehe ich mindestens zwei Gestalten an den Zinnen des Daches, die ganz offensichtlich mit länglichen spitzen Gegenständen auf uns zielen. Die Menge raunt. Die beiden Gestalten ziehen sich zurück, jetzt sieht man nichts mehr. Das ist der Augenblick, in dem ich am meisten bedaure, noch keine Videokamera zu haben. Wer wollte bei diesen Bildern noch behaupten, nicht in einem Polizeistaat zu leben?

Es werden noch weitere interessante Redebeiträge angekündigt, doch ich habe keine Zeit mehr. Die Demonstration hat wesentlich länger gedauert, als ich gedacht hatte, und ich muss langsam gehen. Ich verlasse den Odeonsplatz Richtung Innenstadt. Die Polizei hat Barrikaden aufgestellt, vor dem schmalen Durchgang, steht eine Schlange. Die neutrale Höflichkeit der einzelnen diensthabenden Polizeibeamten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die massive Polizei-Präsenz und durch die Verbarrikadierung und Blockierung des Demonstrationszuges der Eindruck von Repression, Einschüchterung, gar Provokation, entstanden ist.

Was wohl die einzelnen Beamten über die Angelegenheit denken? Eine Befürwortung zunehmender Überwachung von Bürgern kann man ja noch mit berufsbedingter Betriebsblindheit entschuldigen, aber wie steht die Befürwortung für einen Krieg? Jeder Polizist ist irgendwann auch einmal Privatmensch, und wie steht er zu der Angelegenheit? Er hat deutsche Schulen besucht, kennt die Prinzipien des Rechtsstaates. Wie lange würde es wohl dauern, bis er sich nicht mehr als Instrument für die Einführung der Polizeidiktatur missbrauchen lassen wird?

Auch die führenden „Eliten“ dieses Planeten werden sich sicherlich schon diese Frage gestellt haben. Jeden Gedanken, den ich heute habe, hatten andere schon lange vor mir... In diesem Zusammenhang ist wohl auch die geplante Verschmelzung von Polizei, Geheimdienst mit richterlichen Kompetenzen und Bundeswehr zu sehen. Und im Zuge der Europäischen Verfassung, bzw. des Vertrages von Lissabon können Armeen aus dem Ausland auch in anderen Ländern eingesetzt werden.

Als ich durch durch die Barrikaden komme, kann ich kaum erwarten, recht bald in mein, zumindest bis jetzt noch halbwegs normal erscheinendes, Leben zurückzukehren. Doch ein wenig muss ich mich noch gedulden. An der Theatinerstraße gehe ich an endlos erscheinenden Reihen von Mannschaftswagen der Polizei vorbei. Richtung Marienplatz dünnt sich die Polizeipräsenz endlich aus und entlässt mich in eine, einmal mehr, immer zerbrechlicher erscheinende, Normalität.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wer so gute Artikel schreibt, vermindert die Bruchgefahr, Danke.

Auch empfehlenswert zu lesen:
http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2009/02/demo-gegen-die-sicherheitskonferenz-in.html

Bis denne

Anonym hat gesagt…

Danke, dass Sie mich auf diese Reise mitgenommen haben.

Ich bin zu tiefst erschüttert, in welchem Licht Sie mir die Wegstrecke, welche ich sooft gegangen bin, als ich noch in meiner Geburtsstadt lebte, zeigen.

In meinen düstersten Träumen hätte ich mir nicht vorstellen können, was Sie hier in der Realität beschreiben. Meine Befürchtungen über den Wandel unserer Gesellschaft überschreitet dieser Bericht über einen Zeitraum von nur circa 6 Stunden bei weitem.

Was kann nun jeder einzelne tun, dass diese dunklen Zeiten, die da am Horizont erscheinen nicht Wirklichkeit werden???

Ich für meinen Teil, werde Ihre Seite meinem Umfeld empfehlen mit der Hoffnung, das diese die Möglichkeit nutzen und sich der Eine oder Andere davon berühren lässt und sich die Nebel, in den wir uns doch irgendwie alle bewegen, ein klein wenig lichten.

Nachdenkliche und Hoffnungsvolle Grüße
Margitta Lamers