Donnerstag, 13. Mai 2010

Christliche Nächstenliebe

Bei grauem Nieselwetter verlasse ich am Nachmittag die Bibliothek. Ich bin hier regelmäßige Besucherin, denn nicht alle Medien, darf ich mit nach Hause nehmen - manche sind nur als Lesesaalleihe verfügbar. Wie so oft habe ich den halben Nachmittag mit meiner nicht enden wollenden Suche zugebracht, mit der Suche nach den Hintergründen für eine Wirtschaftspolitik ohne Sinn und Verstand, für ein Bildungssystem, das selbstständiges Denken blockiert, für ein medizinisches System, dass zu einem Selbstbedienungsladen für die Pharmaindustrie verkommen ist, für ein politisches System,in dem die "Sachzwänge" mittlerweile so groß sind, dass die meisten Menschen schon völlig das Gefühl für Freiheit verloren haben- mit dem Resultat, dass man anderen Leidensgenossen den Traum von Freiheit und menschenwürdigen Lebensumständennoch geradezu übel nimmt...

Ich trat also - mit wenigen Antworten und vielen neuen Fragen - auf die Straße hinaus, die von einem Himmel undefinierbarer grauer Farbe nach oben hin begrenzt wurde, und begab mich zur U-Bahn. Hier erfuhr ich, dass es irgendwelche Störungen gäbe - für die Innenstadt empfahl der Fahrer den Weg zu Fuß, einen Rat den ich gerne annahm, denn ich zweifelte nicht daran, schnell an mein Ziel zu kommen. Leider erwartete mich am Odeonsplatz eine große Ansammlung von Menschen, die ein Durchkommen erschwerte und mein Weiterkommen verzögerte. Es handelte sich, wie ich dann mit bekam, um den ökomenischen Kirchentag - eine Veranstaltung, um die ich mit Sicherheit einen Riesenbogen gemacht hätte, hätte ich vorher davon gewusst. Ich habe zwar nichts gegen Anhänger irgendwelcher Sekten, seien es nun vom Staat anerkannte, oder auch nicht anerkannte, bloß verstehe ich nicht, wie in einem Land, das zum größten Teil von Anhängern christlicher Nächstenliebe bewohnt wird, ein Konstrukt wie H(artz)IV ohne nennenswerten Widerstand eingeführt werden konnte.


Während ich mich durch die seelig singende Menschenmenge wühlte, hörte ich, wie in den Redebeiträgen von vielen Gruppen, für die man beten wolle, die Rede war - von den Armen in Afrika angefangen, über die Kriegsopfer im Nahen Osten bis zu jenen Menschen, denen auch hierzulande das Geld nicht mehr zum Leben reicht. Und für so eine Veranstaltung und für das Beten bringt man tatsächlich 300.000 Leute auf die Straße , während es bei der Montags-Demo, die jeden Montag gegen Hartz IV protestiert, meistens so um die 60 (ohne zustäzliche Nuller) sind, und das obwohl es auch in München schätzungsweise 40 000 direkt Betroffene gibt - wo sind denn hier die Anhänger christlicher Nächstenliebe, um dagegen zu protestieren, dass man die Leute - sozusagen zur Strafe - ohne Geld, also ohne die Möglichkeit an Nahrungsmittel zu kommen - nach Hause schickt? Wo bleiben denn diejenigen, die für Kriegsopfer beten, wenn es darum geht, gegen die Verursacher dieser Gräueltaten zu protestieren? Wir waren an jenem Tag, als wir gegen ein Treffen von Rüstungskonzernen in München protestierten, ein paar Hundert Leute, wurden von der Polizei eingekesselt, und mit Tränengas eingesprüht. Man hatte sich sogar Sondereinsatzkräfte aus anderen Bundesländern kommen lassen, die auf ihren Rücken Tränengasbehälter trugen und zum Schluss zielten noch Scharfschützen von den Dächern der königlichen Residenz auf uns.

Solch ein Polizeiaufgebot war für den ökomenischen Kirchentag natürlich nicht nötig. Die Christenheit stellt nun wirklich keine Bedrohung für die herrschenden Eliten dar. Dass man mittels Gulaschkanonen glaubt, die Probleme dieser Welt lösen zu können, ist da noch nicht einmal das Schlimmste. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man versucht, die größte Not erst einmal zu lindern, bis man die Bedingungen geschaffen hat, dass Not erst gar nicht entsteht - und daran hapert es eben. Dabei ist beispielsweise das Zinssystem in allen drei Weltreligionen verboten, auch im katholischen Glauben.
Dieses Verbot wurde im Mittelalter eingehalten - mit gutem Grund, wie ich annehme - war doch im Mittelalter das Volk ohnehin völlig besitzlos. Das Land gehörte dem (vom Vatikan kontrollierten) Adel, und der wollte natürlich auf keinen Fall in die Kreditfalle tappen, musste er doch mit seinem eigenen Besitz für die zu berappenden Zinsen haften.

Das ist heutzutage natürlich etwas völlig anderes. Wir sind ja angeblich frei und das Land gehört dem Staat, also uns. Folglich ist es unser Besitz, mit dem wir für Kredite haften. Schulden werden gemacht, indem Staatsanleihen aufgelegt werden (also der Besitz des Staates, mit anderen Worten, der Besitz des Bürgers), also Staatsbesitz als dingliche Sicherheit für an sich erst einmal wertloses Geld, angeboten wird. Die Herstellungskosten der Geldscheine belaufen sich auf wenige Pfennig, und erst wenn jamand in der Realwirtschaft hierfür seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, erhalten sie wirklich ihren Wert. Die Herstellungskosten sind im Falle von sogenanntem Buchgeld (also eine mittels eines Computers eingegebene Zahl, die den Kredit darstellt) sogar noch geringer.


Mit Hilfe der Zinseszinsformel sammeln sich immer mehr Anspruchstitel (also Geld) in den Händen von immer weniger Menschen. So kommt es, dass, obwohl jeden Tag immer mehr Geld geschöpft wird, immer weniger Geld im Umlauf ist - trotz des täglich neu geschöpften und an sich inflationären Geldes (derzeit kursiert mindestens die vierfache Menge an Geld, als es überhaupt Waren und Dienstleistungen zu kaufen gibt) leidet die Realwirtschaft unter einem immer größeren Geldmangel - das Problem wird sich aufgrund der exponentiell wirkenden Zinseszinsformel immer schneller verschärfen - denn zu allem Überfluss betreibt unsere politische Führung in den letzten Jahrzehnten eine Wirtschaftpolitik, die es anscheinend darauf anlegt, den Tag des wirtschaftlichen Zusammenbruches, der aufgrund des begrenzten Rohstoffangebotes dieses Planeten wahrscheinlich sowieso irgendwann eintreten würde, so früh wie möglich geschehen zu lassen.

Der Zinseszins erzwingt Wirtschaftswachstum. Wirtschaftswachstum kann es aber nur geben, indem man die Beschäftigten am Wachstum beteiligt - mit der jetzigen Politik aber wird das Wachstum immer weiter sinken, die Arbeitslosigkeit und damit die Kosten für den Sozialstaat steigen.

Dem wird wohl mit Gulaschkanonen und mildtätigen Spenden nicht beizukommen sein. Eine Besinnung auf das Verbot des Geldverleihs gegen Zinsen wäre da wesentlich hilfreicher, als sich an der Verteilung von halbverschimmelten Nahrungsmitteln, die die Lebensmittelgeschäfte ohnehin nicht mehr loswerden würden, zu beteiligen.

All diese Gedanken wirbelten mir durch den Kopf während ich mich durch die Menge der verzückt singenden Gläubigen kämpfte. Endlich gelangte ich bis zum Isartor. Dort erreichte mich dann die "frohe" Botschaft dass Horst Köhler, derzeitiger Bundespräsident, eheamliger Leiter der Treuhand, und ehemaliger Direktor beim teuflischen IWF, in Kürze zur Menge der Gläubigen sprechen wolle.

Ich war, wie so oft, fassungslos. Da rennen doch tatsächlich 300.000 Menschen, gläubige Christen, zu einer Veranstaltung, beten und singen für die Armen und Unglücklichen der Welt, und laden sich einen Horst Köhler ein, der hier eine Rede halten soll, das ist doch nicht zu fassen... einen ehemaligen Direktor des IWF, einer Organisation, die ein Land nach dem anderen mittels Krediten, die nicht zu bezahlen sind,ins Elend gestürzt hat, und deren Banken sich dann schließlich, nachdem die Bevölkerung jahrzehntelang die Zinsen für die Kredite bezahlt hat, deren Land und Ressourcenreichtum unter den Nagel reißen

so einen!!!! lädt sich die Christenheit zu einer Veranstaltung ein. Wenn da nicht bald der Weltuntergang naht....

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